Ein kleiner Einblick in den Alltag einer tiergestützten Intervention in einer Seniorenresidenz – Benno kommt zu Besuch … 

Vorsichtig stupst Benno, der mittelgroße Rüde mit den großen Pfoten und dem treuen Blick, die lethargisch im Bett liegende alte Dame mit seiner kalten Schnauze an. Seine langen Schlappohren, an denen die Haare wie Federn herunterhängen, sind auf Empfang gestellt. Die sonst so stille, ja nahezu mittlerweile stumme, demente zarte Person spürt, dass ihre Kräfte sie immer massiver verlassen. Sie liegt regungslos und mit traurigem, leerem Blick, welcher auf die weiße Decke gerichtet ist, da. Erst spät bemerkt sie die kurzen Berührungsabstände der kalten, fordernden Hundenase in ihrer Hand. Benno sucht dort vergebens das Futter. Er schleckt ihr die Hand, öffnet diese und deren Finger durch vorsichtige Bewegungen. Schnüffelnd saugt er den Geruch ein und kommt vorsichtig mit den Vorderpfoten auf die Bettkante hoch. Frau Charlotte Hedwig arbeitete in ihrem Leben stets hart, leitete eine große Firma, welche elektronische Geräte herstellte. Sie brachte 4 Kinder zu Welt und ist stolze Oma von bereits 5 Enkelkindern sowie 3 Urenkeln. Bis vor kurzem sprach sie noch, war kontaktfreudig und aß regelmäßig. Doch der triste Alltag in einer Seniorenresidenz mit dem Gefühl, ja dem Wissen, sich dem letzten Lebensabschnitt stellen zu müssen, bringt viele ältere Menschen an den Rand der Verzweiflung. Sie können nicht glauben, was gerade passiert. Vor allem, dass sie sich von liebens- und lebenswertem zu trennen haben. Viele werden dadurch depressiv, traurig und ziehen sich zurück. Kann der Rest noch so schön sein, einige blenden die Gegenwart vollkommen aus und sehen nur noch die Vergangenheit oder scheuen sich vor der Zukunft. Einige der Bewohner*innen mussten auch ihre lieben Tiere zurücklassen. Hunde verfügen über ein ausgezeichnetes Feingefühl. Sie riechen Gefühle wie Anspannung, Angst und spüren aber auch Freude oder Sehnsüchte, Traurigkeit oder Leid. Benno, der bereits erfahrene Rüde, hat also nicht nur sein Futter im Kopf. Meistens geht er von ganz alleine zu genau den Bewohner*innen, welche eine große, innere Zerrissenheit oder Verzweiflung in sich spüren, sich hilflos fühlen oder von seiner Gegenwart profitieren. Plötzlich blinzelte Frau Hedwig mit dem rechten Auge, hob langsam aber sicher den Kopf und schaute in Bennos Richtung. Kurz darauf zog sie die Hand ein wenig weg, spreizte die Finger und begann, mit dem Zeigefinger nach dem Fell des zugewandten Tieres zu greifen. Jetzt war sie wach, die Charlotte. Wach und gleich wie ausgewechselt. Erfreut über diese Reaktion musste ich fast weinen vor Freude, denn Charlotte spricht und reagiert kaum auf mich und alle Mitarbeiter*innen werden ebenso ignoriert. Die ältere Dame hat wahrscheinlich schon zu einem Großteil abgeschlossen, begreift, wie es um sie steht und dennoch schenkt sie mir und dem Hund ein Lächeln.

Sie füllt den Raum mit Wärme und ihre Augen erstrahlen in innerer Zufriedenheit. Dies ist leider nicht nur bei Frau Hedwig der Fall, vielen Bewohner*innen geht es ähnlich … unser Besuch weckt alte Lebensgeister, lässt Stumme ertönen, Regungslose in Bewegung kommen, Depressive in Aktion treten, Traurige lächeln.

Mein Herz, wahrscheinlich auch das von Benno, begann leise zu hüpfen, wie ein kleines Kind, welches vor lauter Stolz im Regen tanzt. Wortlos verstanden wir alle für einen kurzem Moment einander. Es vergingen herzzerreißende Momente, als es Zeit wurde zu gehen. Frau Hedwig verstand, sah erst den Hund und dann mich für einen letzten, innigen und sehr vertrauten Blick an. Ihre Augen glänzten, waren voller Emotionen, lachten aber auch für einen kurzen Moment und hinterließen eine unendliche, von Herzen kommende Dankbarkeit, bevor ich die Tür hinter mir schloss, leise und langsam …

Meine eigenen Gefühle fuhren Achterbahn, den Tränen nahe. Durch meinen Kopf schossen unzählige Gedanken. Alt werden ist wirklich nichts für schwache Nerven, dachte ich und hoffte, selbst im Alter trotz all der Schwierigkeiten nicht auf solche kleinen aber wertvollen Momente verzichten zu müssen … Etwas gestärkt durch diese Hoffnung nahm ich meine Beine in die Hand, um den restlichen Tag noch viele, ebenso wertvolle Momente erleben zu dürfen. Den Bewohner*innen des Seniorenheimes ein Lächeln ins Gesicht zaubern zu dürfen, ganz egal, wie nahe Freude und Leid auch beieinander liegen, ist meine mir gestellte Aufgabe. Denn sind nicht genau diese gemeinsamen Erlebnisse, diese innige Verbundenheit mit Mensch und Tier das, was das Leben ausfüllt, bereichert und vervollständigt?

Kurz vor Feierabend trottete Benno geschafft, aber zufrieden, hinter mir her, als plötzlich eine Kollegin nach mir rief “ Was hast du Frau Hedwig erzählt, dass sie plötzlich wieder ihre Mahlzeiten einnimmt?“ Einen kurzen Moment hielt ich inne, schaute verlegen und antworte „Ich habe nichts gemacht, wie kommst du denn darauf?“ Sie schaute dann jedoch im gleichen Moment zu Benno hinunter, der mich mit seinen großen, müden Kulleraugen anschaute – als würden wir beide die Antwort doch ganz genau wissen. „Wie gut, dass ich kein Lotto spielen muss!“, dachte ich für einen kurzen Augenblick, denn den Hauptgewinn trage ich immer mit mir – meinen Hund und den schönsten Beruf der Welt, (m)eine Berufung!

Die tiergestützte Intervention – Was hat es damit genau auf sich?

Mittlerweile beweisen wissenschaftliche Studien die positive Wirkung von Tieren. Dabei werden geeignete, zum Teil ausgebildete oder geschulte Tiere eingesetzt, um die positiven Wirkungen gezielt zur Förderung physischer, psychischer, sozialer, emotionaler und kognitiver Fähigkeiten sowie Kompetenzen zu erreichen. Der Einsatz von Tieren wird daher immer beliebter und ist unumstritten erfolgreich.

Ergänzend können wichtige Lebensinhalte, wie Freude oder Lebensqualität erreicht werden, denn die tierischen Mitarbeiter wirken oftmals als Bindeglied, Türöffner und Motivator. Tiere bieten ergänzend Nähe und Körperkontakt, fördern Kommunikation, soziale Kompetenzen und können darüber hinaus beruhigen und entspannen.

Der Umgang mit den Tieren verbessert nicht nur das Wohlbefinden, es kann auch verloren gegangenes Selbstvertrauen, die Gesundheit, Ängste oder negative Bewusstseinszustände positiv beeinflussen.

Der Oberbegriff „tiergestützte Intervention“ umfasst alle Maßnahmen, in denen Tiere unterstützend und begleitend in sozialen, pädagogischen oder therapeutischen Bereichen eingebunden werden. Er gilt für alle professionell durchgeführten Einsätze, in denen Tiere als Medium zur Erzielung bestimmter positiver Effekte zum Einsatz kommen.

→ Tiergestützte Interventionen (TGI) sind zielgerichtete und strukturierte Interventionen, die bewusst Tiere in der Gesundheitsfürsorge, Pädagogik und Sozialen Arbeit einbeziehen, um therapeutische Erfolge bei dem jeweiligen Klienten zu erreichen.

Dabei lässt sich die tiergestützte Intervention in jeweilige Hauptbereiche einteilen, welche kurz umschrieben werden:

  • Tiergestützte Therapie (TGT), wie beispielsweise therapeutisches Reiten oder hundegestützte Therapiestunden, welche von ausgebildeten Fachkräften (Ärzt*innen, Physio-, Physio- oder Sozialtherapeut*innen) mit zusätzlicher Weiterbildung für tiergestützte Intervention durchführen. Hier sind Menschen jeden Alters vertreten, beispielsweise mit körperlichen und geistigen Behinderungen, physischen oder psychischen Erkrankungen sowie posttraumatischen Belastungsstörungen.
  • Tiergestützte Aktivitäten (TGA)1 sind Aktivitäten mit Tieren, die vordergründig Privatpersonen, Tierheime oder Einrichtungen für die Freizeitgestaltung anbieten. Diese können Wanderungen mit Tieren sein, bis zu Besuchsdiensten in sozialen Einrichtungen, wie beispielsweise Seniorenresidenzen.
  • Die tiergestützte Pädagogik (TGP) ist hingegen eine zielgerichtete, geplante und strukturierte Intervention, die von professionellen Pädagogen angeleitet oder durchgeführt wird. Ein Beispiel für tiergestützte Pädagogik durch einen Schulpädagogen sind Tierbesuche, die zu verantwortungsvoller Tierhaltung erziehen sollen. Der Fokus der Aktivitäten liegt auf akademischen Zielen, auf pro-sozialen Fertigkeiten und kognitiven Funktionen. Die Fortschritte der Schüler*innen werden gemessen und dokumentiert. Ein Beispiel wäre ein vom Sonderpädagogen durchgeführtes, hundegestütztes Lesetraining.

Welche Tiere eignen sich zur Therapie?

Generell gibt es immer mehr Tierarten, die bei der tiergestützte Therapieformen zum Einsatz kommen. Beliebt sind in erster Linie Haustiere, wie Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Hasen, Ratten, andere Nager oder Vögel aber auch Großtiere wie Schafe, Alpakas, Pferde, Esel oder sogar Schweine nehmen bereits einen großen Stellenwert in der TGI ein. Mittlerweile führen viele Bauernhöfe in unmittelbarer Umgebung therapeutische Angebote durch oder fahren mit Esel und Co die jeweiligen Einrichtungen an.

Kosten einer Tiergestützten Therapie

Die Kosten richten sich nach dem Angebot und den Bedürfnissen des Klient*innen. Tiergestützte Einheiten können an mehreren Termine stattfinden, eine Einheit dauert 20 bis 60 Minuten. Die Preise variieren stark – der durchschnittliche Stundensatz liegt ungefähr bei 60 €.

Wer übernimmt die Kosten für tiergestützte Therapieformen?

Leider ist in Deutschland keine Kostenübernahme möglich und Betroffene müssen diese Art der Therapie selber finanzieren. Die tiergestützten Maßnahmen fallen oftmals in den Bereich der pädagogischen oder sozialen Fördermaßnahmen und werden in der Regel nicht von den Kassen übernommen. Dennoch leisten einzelne Kassen einen Kostenzuschuss für die Hippotherapie (therapeutisches Reiten). Insbesondere bei Menschen mit psychischen sowie physischen Problemen stellt diese Therapieform eine alternative Behandlungsoption dar. Hier werden unterschiedliche Übungen auf dem Pferderücken gemacht, die die ausschließliche Aufmerksamkeit des Reitenden erfordern. Insbesondere bei motorischen oder körperlichen Beeinträchtigungen trägt das Pferd im Rahmen der Hippotherapie zur Entwicklungsförderung bei.

Welche Ausbildungsmöglichkeiten in der tiergestützten Intervention gibt es?

Es gibt verschiedene Wege und Angebote, um die Zusatzqualifikation zu erwerben. In der Regel richten sich die Maßnahmen an pädagogische Fachkräfte, Personen mit sozialer Ausbildung oder ehrenamtlich Mitarbeitende in Vereinen, Kommunen oder Gemeinden. Dabei handelt es sich vordergründig um eine Fort-und Weiterbildung, die auf bisherige Fähigkeiten und Kenntnisse aufbaut. Deutschlandweit kann das Zertifikat nach erfolgreich bestandener Prüfung mittlerweile an Fernschulen absolviert werden. Es bieten sich aber auch Möglichkeiten vor Ort an, wie Akademien oder Bauernhöfe. Im Internet sind verschiedene Angebote in den jeweiligen Bundesländern gelistet. Ausbildungsinhalte sind die Entwicklung von Konzepten, interaktive Spiele, Übungen, das anleiten der jeweiligen Zielgruppe, mit dem Tier zu interagieren sowie Kontakt aufzunehmen und vieles mehr. Nicht zuletzt kann die Liebe zum Tier mit der beruflichen Arbeit kombiniert werden, es kommen neue und vielfältige Einsatzfelder auf. Der Beruf kann für den einen oder anderen zur Berufung werden.  Neue, wertvolle Erfahrungen bereichern den Alltag, die vorher so nie hätten stattfinden können.

Tiergestützte Angebote – ein (Traum)beruf mit Zukunft?

Die Maßnahmen im Zusdammenhang mit Corona setzten sehr viele Menschen zu. Unzählige Menschen kommen nach wie vor an ihre Belastungsgrenzen, ob psychisch, physisch, finanziell, existenziell, …

Das Leid sowie weitere aktuelle Herausforderungen der Gegenwart, deren Begleiterscheinungen und Auswirkungen nehmen immer mehr zu. Es gibt alarmierende Zahlen auch bei Kindern und Jugendlichen in Kindergärten, Schulen oder vergleichbaren Ausbildungsstätten. Der Ist-Zustand ist bei vielen, bereits auch jungen Menschen geprägt von Hoffnungslosigkeit, Schmerz oder Ängsten. Es bedarf eine gezielte Intervention, um verschüttete, positive Gefühle hervorzurufen und zu stärken. Das wären vor allem Zuversicht und Selbstvertrauen, um insbesondere seelisch und körperlich verletzte Menschen in einen Genesungszustand zu bringen.

Eine dieser hilfreichen Möglichkeiten hierbei stellen tiergestützte Angebote, ganz gleich, in welchem Spektrum, dar.

Warum?

  • Sie findet in aller Regel an der frischen Luft statt. Eine Gefahr der Ansteckung wird daher gering gehalten, das Immunsystem wird gleichzeitig gestärkt.
  • Auch durch den Aufenthalt an der frischen Luft, den Kontakt mit Tieren, dem Aufhalten im „natürlichen Mikrobiom“ stärkt die Resilienzfähigkeit.
  • Die dadurch wohltuende Interaktion kann Schritt für Schritt wieder genossen werden.
  • Es werden viele Impulse zur Heilung gegeben, sofern der „menschliche Therapeut“ über eine fundierte Ausbildung in Theorie und Praxis verfügt.

So werden im 21 Jahrhundert neue, ungewöhnliche aber erfolgreiche Wege gegangen, spannend, abwechslungsreich, alles andere als langweilig und alte, ausgetretene Pfade werden verlassen.

Denn auch in den unsichersten Zeiten, in denen viele Menschen nur noch negativ denken oder desillusioniert sind, kann aus dem größten Schlamassel dennoch etwas Positives entstehen – für einzelne Menschen oder ganze Gesellschaften.

Aus Überzeugung.
Mit Leidenschaft.
Für die Menschen.